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Was sind Ideen?

© Josef Wassner Schifferstadt 2016/24

Was sind Ideen?

Es ist in der anthroposophischen Arbeit nicht ungewöhnlich, dass man bei dem Versuch, eine Frage zu beantworten, viele neue Fragestellungen finden kann. Dies war für mich auch so bei der Frage: "Wie lassen sich Ideen charakterisieren, welche Aspekte kann man ins Auge fassen?" Diesen Fragen will ich durch eine Zusammenstellung von ausgewählten Zitaten näherkommen, dadurch wird es uns möglich, ein Bild der Zusammenhänge zu gewinnen. Wem die Zitate nicht ausreichen, kann an den entsprechenden Stellen weiterlesen.


Ein Goethezitat aus Ga 6 Seite 54

«Die Idee ist ewig und einzig; dass wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan. Alles, was wir gewahr werden und wovon wir reden können, sind nur Manifestationen der Idee; Begriffe sprechen wir aus, und insofern ist die Idee selbst ein Begriff.»


Aus Ga 6 Seite 85f

An dem Zustandekommen aller übrigen Anschauungen ist der Mensch unbeteiligt. In ihm leben die Ideen dieser Anschauungen auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die produktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Erscheinung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die menschliche Tätigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozess restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit.


Aus Ga 30 Seite 43f

… Die Idee ist doch die höchste Wahrheit; wenn sie erscheint, so erscheint sie eben als Wahrheit und nicht als Schein. Ein wirklicher Schein aber ist es, wenn das Natürliche, Individuelle in einem ewigen, unvergänglichen Gewande, ausgestattet mit dem Charakter der Idee, erscheint; denn dieses kommt ihr eben in Wirklichkeit nicht zu.


Aus Ga 30 Seite 109

Der Baum, den ich sehe, betaste und dessen Blütenduft ich atme, ist also der Schatten der Idee des Baumes. Und diese Idee ist das wahrhaft Wirkliche. Die Idee aber ist das, was in meinem Geiste aufleuchtet, wenn ich den Baum betrachte. Was ich mit den Sinnen wahrnehme, wird dadurch zum Abbild dessen gemacht, was mein Geist durch die Wahrnehmung ausbildet.


Aus GA 30 Seite 112

Es muss sich an der Erkenntnis des Menschen rächen, wenn dieser die Vermittlung des Geistes mit der Natur, die er selbst vollziehen soll, durch äußere Mächte vollzogen denkt. Er sollte sich in sein Inneres versenken und da den Anknüpfungspunkt der Sinnenwelt an die ideelle suchen. Blickt er statt dessen in die Außenwelt, um diesen Punkt zu finden, so wird er, weil er ihn da nicht finden kann, einmal notwendig zu dem Zweifel an aller Versöhnung der beiden Mächte kommen müssen.


Aus GA 18 Seite 70f

Philosophie wird für Plato die Wissenschaft von den Ideen als dem wahren Seienden. Und die Idee ist die Offenbarung des Weltengeistes durch die Gedanken-Offenbarung. Das Licht des Weltengeistes scheint in die Menschenseele, offenbart sich da als Ideen; und die Menschenseele vereinigt sich, indem sie die Idee ergreift, mit der Kraft des Weltgeistes. Die im Raum und in der Zeit ausgebreitete Welt ist wie die Meereswassermasse, in der sich die Sterne spiegeln; doch ist wirklich nur, was sich als Idee spiegelt. So verwandelt sich für Plato die ganze Welt in die aufeinander wirkenden Ideen. …[Zu der Wahrheit] kommt man erst, wenn man von dem Weltbilde alles abstreift, was nicht Idee ist.

Credo - Der Einzelne und das All (Aus Ga 40)

Die Ideenwelt ist der Urquell und das Prinzip alles Seins.
In ihr ist unendliche Harmonie und selige Ruhe.

Das Sein, das sie mit ihrem Lichte nicht beleuchtete,
wäre ein totes, wesenloses,
das keinen Teil hätte an dem Leben des Weltganzen.
Nur, was sein Dasein von der Idee herleitet,
das bedeutet etwas am Schöpfungsbaume des Universums.

Die Idee ist der in sich klare,
in sich selbst und mit sich selbst sich genügende Geist.
Das Einzelne muß den Geist in sich haben, sonst fällt es ab,
wie ein dürres Blatt von jenem Baume, und war umsonst da.

Der Mensch aber fühlt und erkennt als Einzelnes sich,
wenn er zu seinem vollen Bewußtsein erwacht.
Dabei aber hat er die Sehnsucht nach der Idee eingepflanzt.
Diese Sehnsucht treibt ihn an, die Einzelheit zu überwinden und
den Geist in sich aufleben zu lassen, dem Geiste gemäß zu sein.

Alles, was selbstisch ist, was ihn zu diesem bestimmten,
einzelnen Wesen macht, das muß der Mensch in sich aufheben,
bei sich abstreifen, denn dieses ist es, was das Licht des Geistes verdunkelt.

Was aus der Sinnlichkeit, aus Trieb,
Begierde, Leidenschaft hervorgeht,
das will nur dieses egoistische Individuum.

Daher muß der Mensch dieses selbstische Wollen in sich abtöten,
er muß statt dessen, was er als Einzelner will,
das wollen, was der Geist, die Idee in ihm will.

Lasse die Einzelheit dahinfahren und folge der Stimme der Idee in Dir,
denn sie nur ist das Göttliche! das ist am Umfange des Weltganzen ein wertloser,
im Strom der Zeit verschwindender Punkt; Was man als Einzelner will,
was man «im Geiste» will, das ist im Zentrum,
denn es lebt in uns das Zentrallicht des Universums auf;
eine solche Tat unterliegt nicht der Zeit.

Handelt man als Einzelner,
dann schließt man sich aus der geschlossenen Kette des Weltwirkens aus,
man sondert sich ab.

Handelt man «im Geiste»,
dann lebt man sich hinein in das allgemeine Weltwirken.

Ertötung aller Selbstheit, das ist die Grundlage für das höhere Leben.
Denn wer die Selbstheit abtötet, der lebt ein ewiges Sein.

Wir sind in dem Maße unsterblich,
in welchem Maße wir in uns die Selbstheit ersterben lassen.

Das an uns Sterbliche ist die Selbstheit.

Dies ist der wahre Sinn des Ausspruches:
«wer nicht stirbt, bevor er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt».

Das heißt, wer nicht die Selbstheit in sich aufhören lässt während der Zeit seines Lebens,
der hat keinen Teil an dem allgemeinen Leben, das unsterblich ist,
der ist nie dagewesen, hat kein wahrhaftes Sein gehabt.

Es gibt vier Sphären menschlicher Tätigkeit,
in denen der Mensch sich voll hingibt an den Geist mit Ertötung alles Eigenlebens:
die Erkenntnis, die Kunst, die Religion und die liebevolle Hingabe an eine Persönlichkeit im Geiste.

Wer nicht wenigstens in einer dieser vier Sphären lebt, lebt überhaupt nicht.

Erkenntnis ist Hingabe an das Universum in Gedanken,
Kunst in der Anschauung,
Religion im Gemüte,
Liebe mit der Summe aller Geisteskräfte an etwas,
was uns als ein für uns schätzenswertes Wesen des Weltganzen erscheint.

Erkenntnis ist die geistigste,
Liebe die schönste Form selbstloser Hingabe.

Denn Liebe ist ein wahrhaftes Himmelslicht in dem Leben der Alltäglichkeit.
Fromme, wahrhaft geistige Liebe veredelt unser Sein bis in seine innerste Faser,
sie erhöht alles, was in uns lebt.

Diese reine fromme Liebe verwandelt das ganze Seelenleben in ein anderes, das zum Weltgeiste Verwandtschaft hat.

In diesem höchsten Sinne lieben, heißt den Hauch des Gotteslebens dahin tragen,
wo zumeist nur der verabscheuungswürdigste Egoismus und die achtungslose Leidenschaft zu finden ist.

Man muß etwas wissen von der Heiligkeit der Liebe,
dann erst kann man von Frommsein sprechen.

Hat der Mensch sich durch eine der vier Sphären hindurch,
aus der Einzelheit heraus, in das göttliche Leben der Idee eingelebt,
dann hat er das erreicht, wozu der Strebenskeim in seiner Brust liegt:
seine Vereinigung mit dem Geiste; und dies ist seine wahre Bestimmung.

Wer aber im Geiste lebt, lebt frei.
Denn er hat sich alles Untergeordneten entwunden.
Nichts bezwingt ihn,
als wovon er gerne den Zwang erleidet,
denn er hat es als das Höchste erkannt.

Lasse die Wahrheit zum Leben werden; verliere Dich selbst, um Dich im Weltgeiste wiederzufinden!