Erstes Goetheanum

anthroposophisches.de

Geist-Erinnern

© Josef Wassner Schifferstadt 2016/24

Vom Erinnern zum "Geist-Erinnern"

Das Jahresthema der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 2017/18 beschäftigt sich auch mit dem Grundsteinspruch zur Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft während der Weihnachtstagung 1923/24. Zu drei Übungen wird die Menschenseele in diesen Grundsteinspruch aufgerufen: Übe Geist-Erinnern, Übe Geist-Besinnen, Übe Geist-Erschauen. Es geht hier um die Erinnerung in verschiedener Weise. Zunächst wollen wir vom gewöhnlichen Erinnern ausgehen und herausarbeiten was der Unterschied ist zwischen dieser gewöhnlichen Erinnerung und der Erinnerung von Erlebnissen die man in der geistigen Welt gemacht hat.

Zum Unterschied zwischen normaler Erinnerung und dem Erinnern an geistige Erfahrungen:

Aus Ga 72 BDN Seite 117

Der Mensch ist gewohnt: Wenn er sich eine Vorstellung von irgend etwas, das gleichsam in der Wirklichkeit abläuft, bildet, dann hat er eben ein Bild von irgend etwas Wirklichem; an das kann er sich dann erinnern; das bleibt ihm als Erinnerung. Das ist ja eine Eigentümlichkeit unseres gewöhnlichen Vorstellens, eine Eigentümlichkeit, die uns eigentlich alle Lebenssicherheit gibt, daß wir uns in der Lage fühlen, dasjenige zu behalten, was uns die äußere Welt verbildlicht.

Wenn der Geistesforscher aus den Tiefen seiner Seele diejenigen Kräfte heraufholt, die ihn befähigen, in das Übersinnliche hineinzuschauen, dann ist es so, daß er im «schauenden Bewußtsein» - so habe ich in meinem Buche «Vom Menschenrätsel» diese Fähigkeit genannt - in die Lage kommt, in das Übersinnliche einen Blick hineinzutun.

Aber wenn er nun versuchen wollte, das, was er geschaut hat, das, was ihm geistig vor die Seele getreten ist, in derselben Weise wie irgend etwas anderes, was er aus der äußeren Sinneswelt erfahren hat, durch das Gedächtnis zu bewahren, so würde er zunächst einen vergeblichen Versuch machen.

Erlebnisse der geistigen Welt, Erlebnisse, die sich auf das Ewige, auf das Unsterbliche unserer Seele beziehen, können durch übersinnliche Erkenntniskräfte erkannt werden; aber sie können nicht in der gewöhnlichen Weise dem Gedächtnisse einverleibt werden, sie werden gewissermaßen wie ein flüchtig durch die Seele eilender Traum sogleich vergessen.


Nun können Sie sagen: Wie ist es also dann mit diesen Erkenntnissen? Können sie überhaupt nur wie Ergebnisse eines flüchtigen Traumes angesehen werden? — Man muß sagen: In einem gewissen Sinne durchaus! Aber das Folgende gilt nun: Man muß, um solche Einschau in das Übersinnliche zu haben, die ganze menschliche Seelenverfassung in einer gewissen Weise vorbereiten; man muß jedesmal von neuem eine solche innere Seelenverfassung herbeiführen, vor welcher die Geistesschau auftreten kann. Das, was man da in der Seele als Verrichtung anstellt, was man in der Seele vornimmt, um in die Geisteswelt hineinzuschauen, das kann man im Gedächtnisse behalten, daran kann man sich erinnern.

Hat man also einmal einen Einblick in dieses oder jenes Geschehnis der Geisteswelt, über diese oder jene Wesen der geistigen Welt erlangt, so hat man gewußt, was man mit der Seele für Übungen vornehmen muß, damit diese Geistesschau eintreten kann. Soll nach einiger Zeit diese Geistesschau wieder eintreten, so muß man dieselben Bedingungen in der Seele herstellen. An diese Bedingungen kann man sich erinnern. Was man schaut, daß muß immer wieder von neuem auftreten.

Dadurch ist ein großer Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Erkenntnissen gegeben. Der Geistesforscher ist nicht in der Lage — so paradox das klingt -, einmal etwas zu erfahren, dann es gewissermaßen auswendig gelernt zu haben, um es immer wieder und wiederum in seiner Seele lebendig machen zu können wie eine Erinnerung.

Nein, will er derselben geistigen Wesenheit oder demselben geistigen Geschehnisse wieder entgegentreten, dann muß er in sich selber die Gelegenheit herbeiführen, es neuerdings zu erleben. So sonderbar es klingt, wenn der Geistesforscher von den elementarsten Wahrheiten spricht - ich möchte sagen: an fünf aufeinanderfolgenden Tagen zu irgendeiner Gemeinde, zu irgendeinem Publikum —, und er will so sprechen, daß das Gesprochene unmittelbar herausgesprochen ist aus der geistigen Erfahrung, dann muß er jedesmal diese geistige Erfahrung von neuem machen.

Metamorphose von Erinnerungskräften durch geistige Forschung

Durch eine bestimmte Trainierung kann die Menschenseele bestimmte Kräfte die auch mit der Erinnerung zusammenhängen zum wahrnehmen in der geistigen Welt ertüchtigen. In einem Vortrag (aus Inneres Wesen des Menschen... GA 153) vom (9. und) 10. April.1914 in Wien spricht R.Steiner von diesem Weg.

Ein Link zu beiden Vorträgen zum Anschauen oder Herunterladen.

Vorträge vom 9. und 10.4.1914

(Aus dem Vortrag von 10. April 1914 Seite: 91ff) ...
Das ist ja gerade das Bedeutsame wirklicher geistiger Betrachtungsweise, dass man im Grunde genommen auf die Rätsel des Daseins durch geistige Betrachtung erst dadurch kommt, dass man eine Sache von den verschiedensten Seiten aus betrachtet.

Es gibt nämlich noch eine andere Art, aus dem Leib herauszukommen. Ich möchte sagen, die gestern geschilderte Art zeigte uns: es verlässt dabei die Seele den Leib so, dass die sich aus dem Leibe einfach in den Raum hinaus begibt und da außer dem Leibe zu leben beginnt.

Dieses Aus-dem-Leibe-Treten kann noch auf folgende Weise geschehen. Man kann, um den Weg aus sich heraus zu finden, gerade zunächst tiefer in sich hineinzukommen versuchen. Man kann versuchen, an die Erfahrungen anzuknüpfen mit dem, was in der Seele, man möchte sagen, der geistigen Erfahrung am ähnlichsten ist. Man kann versuchen, mit unserem Gedächtnis an die Erlebnisse anzuknüpfen. Es wurde ja öfter gesagt: Dadurch, dass wir als Menschenseelen imstande sind, nicht nur etwas wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen und zu wollen, sondern die Gedanken und Wahrnehmungen aufzubewahren als Gedächtnisschatz, dadurch verwandeln wir unser Innenleben eigentlich schon in etwas Geistiges. ...

Und in der Tat, wenn in dem hellseherischen Bewusstsein die Imagination beginnt, wenn aus dem Dunkel des geistigen Daseins die ersten Eindrücke her auftauchen, so sind diese Eindrücke in ihrer Qualität, in ihrer ganzen Wesenheit sehr ähnlich jenem Seeleninhalt, der als Gedächtnisschatz in uns ist. Wie Erinnerungsbilder, aber jetzt doch wiederum wie etwas unendlich viel Geistigeres, treten die Offenbarungen aus der geistigen Welt bei uns auf, wenn wir mit dem hellseherischen Bewusstsein wahrzunehmen beginnen. Wir merken dann gleichsam, dass unser Gedächtnisschatz das erste wirklich Geistige ist, das erste, wodurch wir uns gewissermaßen schon aus unserem Leibe herausheben, dass wir dann aber weitergehen müssen, dass wir solche im Geistigen schwebende Bilder, wie das Gedächtnis sie uns bietet - allerdings von viel größerer Lebendigkeit -, aus Geistestiefen heraufheben müssen, die nicht unserem Erleben angehören wie die Erinnerungsvorstellungen, dass gleichsam hinter dem Gedächtnis etwas heraufzieht. Das muss festgehalten werden: es zieht etwas herauf aus fremden geistigen Gebieten, während der Gedächtnisschatz heraufzieht aus dem, was wir im Physischen miterlebt haben.

Wenn wir nun versuchen, den geistigen Blick zurückzulenken auf die Erlebnisse unseres Ich während der Jahre, die wir seit dem Zeitpunkte unserer Kindheit erlebt haben, zu dem unsere Erinnerung zurückreicht, wenn wir versuchen, von allem Äußeren abzusehen und ganz in uns hineinzuleben, so dass wir uns immer mehr in unsere Erinnerungen hineinfinden, aus unserem Erinnerungsschatz auch das heraufholen, was uns gewöhnlich nicht gegenwärtig ist, dann nähern wir uns immer mehr und mehr dem Zeitpunkt, bis zu dem wir uns zurückerinnern können. Und wenn wir solches oft vornehmen, wenn wir uns sogar eine gewisse Praxis darin aneignen - und wir können das -, sonst längst vergessene Erinnerungen heraufzuholen, so dass wir eine stärkere Kraft des Sich-Erinnerns entwickeln, wenn wir immer mehr und mehr Vergessenes heraufholen und dadurch unsere Kraft, die die Erinnerungen heraufschafft, stärker machen, dann werden wir sehen, dass, ich möchte sagen, wie auf einer Wiese zwischen den einzelnen grünen Grashalmen und Graspflanzen Blumen auftauchen, dann zwischen den Erinnerungen Bilder, Imaginationen auftauchen von etwas, was wir vorher nicht gekannt haben. Es ist etwas, was wirklich so auftaucht wie die Blumen auf der Wiese zwischen den Graspflanzen, was aber aus ganz anderen geistigen Tiefen heraufkommt als die Erinnerungen, die eben nur aus unserer eigenen Seele her auftauchen. Und wir lernen dann unterscheiden das, was irgendwie mit unseren Erinnerungen zusammenhängen könnte, von dem, was also her auftaucht aus geistigen Untergründen und geistigen Tiefen.

Und so leben wir uns nach und nach in die Möglichkeit ein, eine Kraft zu entfalten, das Geistige herauszuholen aus seinen Untergründen. ... [Dabei] gehen wir zuerst unser Leben zurück, durchlaufen unser Leben. Wir versenken uns in unser Innenleben, gewöhnen uns, durch die Erstarkung der Erinnerungskraft in unserem Innenleben zwischen unseren Erinnerungen Geistiges hervorzuholen aus der geistigen Welt, und so gelangen wir endlich dazu, hinauszudringen durch unsere Geburt, durch die Zeitenfolgen über unsere Empfängnis hinaus, in die geistige Welt, in der wir gelebt haben, bevor wir uns zu unserer jetzigen Inkarnation mit einer physischen Vererbungssubstanz verbunden haben. Wir gelangen, unser Leben durcheilend, hinaus in die geistige Welt, zurück in die Zeit, bevor wir eben hereingetreten sind in diese Inkarnation. Das ist die andere Art, den Leib zu verlassen, hineinzukommen in das Geistige. ...



Wenn man so, wie ich es jetzt beschrieben habe, den Leib verlässt, so kommt man nämlich ganz anders aus seinem Leibe heraus. ... Wenn man ... [das] durchmacht, was jetzt hier gemeint ist, dann tritt man aus dem Raum selber hinaus, dann hört der Raum auf, für einen eine Bedeutung zu haben; man verlässt den Raum und man ist dann nur noch in der Zeit. So dass bei einem solchen Verlassen des Leibes das Wort aufhört, einen Sinn zu haben: Ich bin außerhalb meines Leibes - denn das Außerhalb bedeutet ein räumliches Verhältnis. Man fühlt sich dann eben nicht gleichzeitig mit seinem Leibe, man erlebt sich in der Zeit, In der Zeit, in der man war vor der Inkarnation, in einem Vorher. Und den Leib erschaut man als nachher existierend. Man ist wirklich nur in der fortströmenden, laufenden Zeit dar innen. Und anstelle des Außen und Innen ist ein Vorher und Nachher getreten.

... Nun ist man auf diesem Wege hinausgezogen aus seinem Leibe, indem man in das vorher im Geiste vollbrachte Leben zurückgekehrt ist, man ist damit aber auch aus dem Raum herausgezogen. Dadurch hat dieses Verlassen des Leibes - aus dem Jetzt zu dem Früheren - einen viel höheren Grad von Innerlichkeit als das andere Verlassen, und für den Geistesforscher ist in der Tat dieses jetzt geschilderte Verlassen des Leibes von unendlich größerer Bedeutung als das gestern geschilderte, das nicht aus dem Raume herauskommt. Denn eigentlich begreift man dasjenige, was so recht tiefe Innerlichkeiten der Seele angeht, im Grunde erst auf dem heute beschriebenen Wege.

Zum Raume wird hier die Zeit (Vom Erinnern zum Geist-Erinnern)

Am 30. März 1910 hielt Rudolf Steiner in Wien einen Vortrag bei dem es u.a. um die Erinnerung ging. In diesem bezieht er sich mehrfach auf den zuvor gehaltenen Vortrag vom 29.3.1910 in welchem er drei Stufen des Urteilsvermögens: gefühlsmäßiges Fürwahrhalten, Verstandeskritik, Herzdenken betrachtet. Es sind dies die drei Entwickelungsstufen des menschlichen Urteilsvermögens: unbewusste Logik des Herzens (Vergangenheit), Verstandeslogik (Gegenwart) und die bewusste Logik des Herzens (Zukunft). Sie können sich beide Vorträge zusammen durch anklicken des folgenden Link anschauen oder durch rechtsklick herunterladen.

Vorträge vom 29. und 30.3.1910 anzeigen

Aus GA 119 Vortrag von 30.3.1910 Wien Seite 236 und folgende... Wir konnten schon aus dem gestrigen Vortrag entnehmen, dass uns die Logik des Herzens in der menschlichen Entwickelung zweimal entgegentreten kann. Sie kann uns entgegentreten in derjenigen Entwickelungsform, in der das, was das Herz denkt, noch nicht durchzogen ist von der Logik des Verstandes, der Logik des Kopfes. .... Es kann … gesagt werden, dass sich aus der Natur des Geschilderten von selbst ergibt, dass unsere heutige Entwickelungsstufe auf eine frühere hinweist, in der aus einem Unterbewusstsein heraus, aus einem noch nicht vom Verstand durchtränkten Bewusstsein heraus das Herz urteilte. Heute leben wir in einer Zeit, in welcher dieses ursprüngliche Urteil des Herzens, diese ursprüngliche Logik des Herzens durchzogen ist von Begriffen und Ideen, kurz von dem, was wir Logik des Verstandes nennen. Und wenn wir ... [die Entwickelung des Menschen ins Auge fassen, so dürfen wir auf einen Zukunftszustand der Menschheit hinblicken, in welchem die Logik des] Herzens in vollem Umfang wiederum vorhanden sein wird, das heißt, dass der Mensch wiederum imstande sein wird, aus der Unmittelbarkeit seines Fühlens heraus die Wahrheit zu schauen. Aber er wird dann aufgenommen haben die Entwickelungsstufe, die er zwischen diesen beiden durchgemacht hat, die Stufe der Logik, des Verstandes. So dass wir sagen können: gehen jetzt - die gesamte Menschheit - durch die Entwickelungsstufe des Verstandes, des Kopfes hindurch, um auf einer höheren Stufe dasjenige wiederum zu erreichen, was auf einer niederen Stufe schon erreicht war: die Logik des Herzens. ... [Auf dieser höheren Stufe wird die Logik des Herzens] durchtränkt, durchglüht, durchleuchtet sein von dem, was [der Mensch] auf der jetzigen Stufe der Entwickelung durch Begriffe, durch Ideen erworben hat. ... Und wir sehen daraus auch den Sinn der Entwickelung, dass dem auf einer früheren Stufe Errungenen Neues hinzugefügt wird. Neues wird also einverleibt dem Alten, welches in die Zukunft hinüber gelebt werden soll.

Aber wir können uns noch genauer unterrichten, gerade aus den Erfahrungen derjenigen heraus, die heute schon ... erreicht haben ... eine Art von höherem Bewusstseinszustand, durch den sie hellseherisch hineinsehen können in die höheren Welten. Sie können ja leicht begreifen, dass von einer solchen Umwandlung nicht nur die Denkkraft betroffen ist, sondern dass auch andere Seelenkräfte andere Formen annehmen werden, wenn sich die Denkkraft verändert.

... Wenn nun jemand durch die geisteswissenschaftliche Schulung ... fortschreitet von der Logik des Kopfes, des Verstandes, zu der Logik des Herzens, vom Denken des Kopfes zum Denken des Herzens, ändern sich dann auch die andern Fähigkeiten der Seele? - Nehmen wir irgendeine Fähigkeit heraus - wir können ja diese Dinge, die so kompliziert sind, nur an Beispielen erläutern -, nehmen wir als Beispiel das Gedächtnis. Das Gedächtnis ist eine Seelenkraft, wie das Denken eine Seelenkraft ist. Das Denken ändert sich; es wird von einem Denken des Kopfes zu einem Denken des Herzens, wenn der Geistesschüler sich vorwärts- entwickelt. Wie ist es denn nun mit dem Gedächtnis? Das Gedächtnis tritt uns ja im gewöhnlichen Leben beim normalen Bewusstsein in folgender Weise entgegen: Der Mensch hat zunächst ein Bewusstsein des Gegenwärtigen. Er sieht die Dinge, die ihn in der Gegenwart im Raume umgeben, er macht seine Wahrnehmungen, macht sich daraus seine Vorstellungen. Alles das kann er seinem Bewusstsein einverleiben. Aber der Mensch kann auch ein Bewusstsein haben von dem, was räumlich vorhanden war, aber zeitlich getrennt ist. Dessen wird er sich durch das Gedächtnis bewusst; durch das Gedächtnis schreitet der Mensch aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Wenn Sie sich an etwas erinnern, was Sie gestern erlebt haben, so schauen Sie in der Zeit zurück. Sie schauen etwas, was jetzt nicht mehr in Ihrer Umgebung ist, was aber einmal in Ihrer Umgebung war. Jeder, der das Gedächtnis nach dieser Richtung hin prüft, merkt, dass das Gedächtnis nicht an den Raum gebunden ist wie das Gegenwartsbewusstsein, sondern das Gedächtnis ist an die Zeit gebunden. Wenn wir mit unserem Gedächtnis tätig sind, schauen wir in der Zeit rückwärts. Diese Art der Bewusstseinstätigkeit ändert sich nun für den Geistesschüler ganz gewaltig. Nun muss ich ausdrücklich bemerken, dass ja der Geistesforscher selbstverständlich nicht in jedem Moment seines Lebens seine höheren Fähigkeiten anzuwenden braucht. Er hat sie, aber er setzt sie nur dann in Tätigkeit, wenn er forschen will in den höheren Welten.

... Das Gedächtnis des Geistesforschers nun ändert sich in all den Fällen, wo er in dem Bewusstseinszustand ist, mit dem er in der geistigen Welt forscht so, dass er in der geistigen Welt durch eine ähnliche Fähigkeit wahrnimmt, wie sie das gewöhnliche Gedächtnis ist, nur dass er nun nicht zeitlich wahrnimmt, sondern räumlich. Es ist eine vollständige Verwandlung, die mit dem Gedächtnis vorgeht. Während der Mensch, wenn er im gewöhnlichen Bewusstsein sich an etwas erinnern will, was er gestern erlebt hat, in der Zeit zurückblickt und die Ereignisse von gestern gleichsam heraufzuholen sucht, ist es beim Fortschreiten in der geistigen Erkenntnis des Geistesschülers so, dass er das Vergangene gleichzeitig mit dem Gegenwärtigen erlebt, nur räumlich von ihm getrennt, etwa so, wie wenn man hier steht und durch die Türe in den Raum nebenan schaut. Es ist also so, dass die gestrigen Ereignisse gleichzeitig im Raume dastehen, nur wie durch eine Entfernung von den heutigen Ereignissen getrennt; und dasjenige, was in der Zeit weiter zurückliegt, ist nur im Raume entsprechend weiter entfernt als das Gegenwärtige. Man kann also sagen: Für den Geistesforscher treten die sonst für das Gedächtnis in der Zeitform hintereinander erscheinenden Ereignisse nebeneinander auf, und er muss gleichsam von einem Ereignis zum andern wandern.

Sie werden erkennen, wenn Sie genau durchdenken, was schon in den vorhergehenden Vorträgen gesagt worden ist, dass das jetzt Auseinandergesetzte ganz gut übereinstimmt mit dem früher Gesagten. Es wurde gesagt, dass man sich in der geistigen Welt mit den Dingen und Wesenheiten vereinigen muss. Wenn diese Dinge und Wesenheiten nun in der Zeit fern von einem liegen, dann muss man zu ihnen hingehen, um sich mit ihnen zu vereinigen. Man muss zurückgehen, man muss die Zeitenlinie abschreiten wie eine Linie im Raum, um sich mit den Wesen und Dingen vereinigen zu können. Man kann sagen, dass sich in Bezug auf die Seelenfähigkeit des Gedächtnisses die Zeit zu einer Art von Raum verwandelt, sobald man die geistige Welt betritt. Also das Gedächtnis ist für den Geistesschüler eine wesentlich neue Fähigkeit geworden. Er sieht ein vergangenes Ereignis so, wie wenn es in der Gegenwart noch da wäre, und er beurteilt die Zeit, die vergangen ist, nach der Distanz, in der es getrennt von ihm ist. So dass Sie daraus entnehmen können, dass die Vergangenheit für den Geistesschüler sich hinstellt wie etwas, was räumlich nebeneinander steht. Es ist tatsächlich, wenn diese Form des Gedächtnisses errungen ist, das Forschen in der Vergangenheit wie ein Ablesen der stehengebliebenen Ereignisse. Man nennt dieses Ablesen der stehengebliebenen Ereignisse das Lesen in der Akasha-Chronik. Es ist eine Welt, in der die Zeit zum Raum geworden ist. Wie man unsere Welt, in der wir leben, als die physische Welt bezeichnet, so kann man die Welt, in der die Zeit zum Raum geworden ist, als die Akasha-Welt bezeichnen. Das verändert die ganze innere Seelenverfassung des echten, wahren Mystikers, denn was im gewöhnlichen Leben Zeit genannt wird, gibt es hier gar nicht mehr in dieser Form.

... Denken Sie einmal, was aus dem Menschen im gewöhnlichen Leben würde, wenn er sein Denken nicht mit seinem Gedächtnis in Einklang bringen könnte, wenn er seine Logik des Verstandes in Widerspruch fände mit dem, was sein Gedächtnis sagt. Sie können sich einen solchen Fall leicht konstruieren. Denken Sie einmal, Sie würden vor sich haben irgendein Dokument, das meinetwillen das Datum vom 26. März trägt. Das ist eine Wahrnehmung, die Sie in Ihrem Gegenwartsbewusstsein haben. Aber Sie waren dabei, als das Ereignis stattgefunden hat, das in diesem Dokument aufgeschrieben ist, Sie gehen die Tage zurück, und Ihr Gedächtnis sagt Ihnen, es muss einen Tag früher gewesen sein. Da haben Sie sozusagen einen grobklotzigen Fall, wo Ihr Gegenwartsbewusstsein mit Ihrem Gedächtnisbewusstsein in Widerspruch gerät. Solche Fälle können in der Regel in der physischen Welt sehr leicht korrigiert werden. Viel schwieriger ist es in der geistigen Welt, einen Irrtum zu korrigieren, denn man kann durch die eigene Natur selbst Irrtümer in die geistige Welt hineintragen. In der physischen Welt ist im Allgemeinen ein Irrtum des Denkens nicht gar so schlimm, denn die äußeren Verhältnisse der physischen Welt korrigieren die Irrtümer von selbst. Wenn jemand zum Beispiel, sagen wir, der Straße nicht gehörige Aufmerksamkeit zuwendet, wenn er vergisst, dass er die rechte Straße nehmen muss, um nach Hause zu kommen, und stattdessen die linke Straße nimmt, so wird er den Irrtum bald einsehen. Also auf dem physischen Plan ist ein Irrtum nicht gar so schlimm. Aber auf dem geistigen Plan haben wir so bequeme Korrekturen der Irrtümer nicht; da muss man in sich die Sicherheit haben, um solche Fehler zu vermeiden. Da muss man die sorgfältigste Vorbereitung darauf verwenden, dass man diese Sicherheit bekommt. Ein Irrtum in der geistigen Welt würde viel teurer zu stehen kommen, ein einziger Fehler würde einen ins Bodenlose hineinführen können. Es muss ein bestimmter Einklang bestehen zwischen der Logik des Herzens und dieser eben beschriebenen Art des Gedächtnisses, geradeso wie ein Einklang besteht zwischen der Logik des Kopfes und dem Gedächtnis des gewöhnlichen Bewusstseins.

Nun ist aber durch die Art, wie wir uns nach den Angaben der Geisteswissenschaft höher entwickeln, eine Garantie gegeben, dass ein solcher Einklang besteht. Und hier kommen wir zu einem Satz, den der Geistesschüler eigentlich immer beherzigen soll: dass alles äußere Physische eigentlich nur dann verstanden wird, wenn es nicht direkt genommen wird, sondern als Gleichnis eines Übersinnlichen, eines Geistigen aufgefasst wird. In der Tat haben wir ein physisches Werkzeug für unsere Logik des Kopfes in unserem Gehirn. Das ist ja etwas, was ein jeder durch die gewöhnliche Wissenschaft wissen kann. In derselben Weise können wir allerdings nicht sagen, dass wir an unserem physischen Herzen ein Werkzeug haben für die Logik des Herzens. Denn die Logik des Herzens ist etwas viel Geistigeres als die Logik des Kopfes, und unser Herz ist nicht in demselben Grade physisches Organ für das Denken des Herzens, wie unser Gehirn physisches Organ ist für das Denken des Verstandes. Aber ein Gleichnis liegt uns in gewisser Weise doch in unserem physischen Herzsystem vor. Wenn nämlich das Denken des Herzens die Zeit in den Raum verwandelt, so muss man in dem Augenblick, wo man in die geistige Welt eindringt, eigentlich mit seinem ganzen Wesen fortwährend herumwandern, muss in einem fortwährenden Kreislauf begriffen sein. Das ist auch entschieden die Empfindung, welche derjenige hat, der von dem gewöhnlichen Gedächtnis zu dem höheren Gedächtnis des Geistesforschers hinaufsteigt. Während der Mensch mit dem gewöhnlichen Gedächtnis glaubt, in der Gegenwart festzustehen und zurückzublicken auf die Vergangenheit, hat der Geistesforscher das innere Erlebnis, dass er in der Zeit zurück spazieren geht, dass er die Zeit abschreitet. Und dieses Bewusstsein drückt sich äußerlich aus in dem Erleben unseres Blutsystems, das auch in einer fortwährenden Bewegung sein muss, wenn wir überhaupt leben wollen. In unserem Blute machen wir fortwährend die Bewegung vom Herzen durch den Körper und wiederum zurück. Der Kreislauf des Blutes gibt Ihnen das Bild einer Bewegung. Das Blut ist in einer fortwährenden Bewegung, so dass also dasjenige, was zum Herzen gehört, eigentlich in einer fortwähren den Bewegung ist. Was zum Kopf gehört, das werden Sie nicht in einer entsprechenden fortwährenden Bewegung finden. Die Teile des Gehirns bleiben immer an dem Ort, wo sie sind, so dass in der Tat das Gehirn ein physisches Gleichnis ist für dasjenige Bewusstsein, das im Raum sich abspielt. Das rinnende Blut, der Saft des Herzens, ist in seiner Zirkulation ein Bild der Beweglichkeit des Herzdenkens des Geistesforschers. So ist ein jegliches Physisches ein Gleichnis für das entsprechende Geistige. Das ist in der Tat eine außerordentlich interessante Tatsache, dass wir in unserem Blutsystem ein Bild haben von gewissen Fähigkeiten des Geistesforschers und auch von den Welten, in denen der Geistesforscher sich bewegt.

So also blicken wir, indem wir aufsteigen zu dem Begreifen eines höheren Bewusstseins, förmlich in einen anderen Raum hinein, in einen Raum, den das gewöhnliche Bewusstsein gar nicht kennt, in einen Raum, der dann entstehen würde, wenn der Zeitenfluß immer gerinnen würde. Denken Sie: Wenn Sie dasjenige vor sich haben wollten, was Sie gestern erlebt haben, dann müsste ein Augenblick dessen, was gestern erlebt worden ist, wie erstarrt sein. Im nächsten Augenblick ist die ganze Welt schon wieder anders; der Augenblick, der jetzt ist und schon wieder nicht ist, müsste sozusagen wie in einer Moment-Photographie festgehalten werden. Jeder Augenblick müsste so festgehalten werden, und dann müssten diese folgenden Photographien nebeneinander im Raum aufgestellt werden. Dann hätten Sie das, was der Geistesforscher tatsächlich lebendig vor sich hat. Nicht nur den gewöhnlichen Raum hat er vor sich, sondern einen Raum, der ganz anderer Natur ist. Ein solcher Raum unterscheidet sich ganz wesentlich von dem Raum, in dem wir gewöhnlich leben. Sie können unmöglich in dem gewöhnlichen Raum ein Abbild des geistigen Raumes entwerfen. Denn wenn Sie den physischen Raum nehmen und versuchen, irgendwohin eine Linie zu ziehen, so können Sie diese Linie nur innerhalb dieses Raumes ziehen. Sie kommen gar nicht über diesen Raum hinaus. Sie können also dasjenige, was der Geistesforscher im geistigen Raum durchschreitet, gar nicht in den gewöhnlichen Raum hinein zeichnen. Dem Geistesforscher wird die Zeit zum Raum, in dem er von einem Punkt zum andern Punkt schreitet.

Sie sehen also, dass das gewöhnliche Bewusstsein im Raum eingeschlossen ist; es kann gar nicht heraus. Aber der Geistesforscher kommt dennoch heraus. Er weiß, wie er sich zu bewegen hat, wenn er zum Beispiel zu Ereignissen kommen will, die meinetwillen vier oder fünf Tage vorher stattgefunden haben. Er geht durch die Bilder der Ereignisse der letzten vier oder fünf Tage zurück, wie auf einer Linie. Diese Linie ist so beschaffen, dass sie weder zweidimensional gezeichnet, noch dreidimensional im Raume dargestellt werden kann. Sie ist überhaupt für das gewöhnliche Bewusstsein nicht vorstellbar, denn das gewöhnliche Bewusstsein kann aus dem dreidimensionalen Raum nicht heraus. Der Geistesforscher bewegt sich aber aus dem gewöhnlichen Raum heraus und betritt einen Raum, der eine weitere, eine im wahren Sinne vierte Dimension hat. Der Raum, den der Geistesforscher betritt, wenn er das neue Gedächtnis bekommt, hat eine Dimension mehr als der gewöhnliche Raum; das ist eine Dimension, die Sie im physischen Raum nicht finden können. Daher müssen wir davon sprechen, dass der Geistesforscher in dem Augenblick, wo er dieses höhere Gedächtnis bekommt, aus den drei Dimensionen des Raumes heraustritt. Wir haben nun nicht nur darauf hingedeutet, dass ein solcher Begriff vom vierdimensionalen Raum denkbar ist, sondern dass es eine ganz bestimmte Fähigkeit gibt, nämlich das höhere Gedächtnis des Menschen, für welche dieser vierdimensionale Raum eine Wirklichkeit ist.

Wenn Sie nun noch weiterlesen wollen dann klicken Sie auf den folgenden Link zur pdf Datei. Zurück zum Menü kommen Sie mit dem darauffolgenden Link.

Zum weiterlesen ab Seite: 245 die Seite wird automatisch aufgeschlagen.
Gehe zum Navigationsmenü auf dieser Seite oben